1  Didaktische Analyse

"Dem Balken sieht man den Baumstamm noch an. Heute ist es der breiten Masse trotz der Schule schon nicht mehr ganz klar, daß auch ein Radioapparat aus 'natürlichem' Material hergestellt ist und daß es also dabei 'mit rechten Dingen' zugeht. Tief im Herzen halten sie es für Hexerei. Anders als Baugerüst, Pflug und Windmühle sind die modernen Apparaturen undurchschaubar für den, der nicht Physik wirklich und grundsätzlich verstanden hat."  [Wagenschein]

Der Mensch wird heute durch den Computer nicht zum ersten Mal mit 'moderner Technik' konfrontiert. Warum fühlen wir uns dennoch in besonderem Maße irritiert und spüren die Herausforderung euch für die Schule

Wir sehen, daß sich die Technik, von der wir im Alltag umgeben sind (z.B. Telefon, Rundfunk, Fernsehen, Computer in der Datenverarbeitung wie in der Prozeßsteuerung), zunehmend dem menschlichen Vorstellungsvermögen entzieht. Wir erkennen, daß diese Technik unseren Alltag in hohem Maße verändert hat und verändern wird. Wir reagieren fasziniert und verängstigt.

Was kann die Schule tun, damit der junge Mensch die Begegnung mit dieser anscheinend bedrohlichen Technik unbeschadet übersteht, sie vereinnahmt und zu seinem und aller Nutzen verantwortungsbewußt einsetzen kann

Die Schüler sollten

Den Schülern sind Modelle anzubieten, die es ihnen "ermöglichen, die Erfahrungen im Umgang mit der 'Maschine' zu begreifen. Hierbei ist es wichtig, die Erkenntnis zu vermitteln, daß alle Ergebnisse der Computerarbeit immer eine Folge menschlicher Aktivität und der von Menschen eingegebenen Daten und Werte/Normen sind. Die Einsicht in den Aufbau eines Systems erfordert, daß der Schüler lernt, mit 'black boxes' zu arbeiten, und daß er es sich euch zutraut, damit umzugehen."  [von Weert]

Im Physikunterricht kann ein Einblick in Aufbau und Funktionsweise eines Computers vermittelt werden.

"Die Physik ist Grundlage für viele Gebiete der Technik. Der Physikunterricht der Klassen 7-10 des Gymnasiums ist daher darauf ausgerichtet, technische Sachverhalte von den Grundlagen her durchschaubar zu machen. Der Schüler soll daraus erfahren, daß Technik etwas von Menschen Gemachtes ist, das auf den Ergebnissen naturwissenschaftlicher Forschung beruht. Indem der Physikunterricht dies aufgreift, kann Wissenschaftsgläubigkeit abgebaut werden und eine rationale Einstellung gegenüber technischen Dingen erreicht werden. Erst mit diesem Schritt erreicht der junge Mensch einen eigenen Standpunkt, von dem aus eine verantwortungsbewußte Auseinandersetzung mit der Technik und ihrer Problematik beginnen kann."  [Rahmenrichtlinien, Niedersächsisches Kultusministerium]

Physik und Technik stehen allerdings in einem Spannungsverhältnis, das auch in der fachdidaktischen Diskussion hervortritt.

"Kriterien in der Technik sind: Rentabilität, Sicherheit, Ökonomie und heute auch die Rückwirkung auf die Ökologie. Der Techniker ist konstruktiv tätig. Demgegenüber geht es der Physik - zumindest in ihrem Selbstverständnis - um Erkenntnis. Ihr Grundmuster ist die Entdeckung eines Phänomens oder eines neuen Zusammenhangs."  [Weltner]

"Die Faszination, die heute von der Technik ausgeht, verstärkt das Interesse der Jugendlichen an der Physik und muß vom Lehrer aufgenommen werden, ohne daß er ihre Gefahren außer acht lassen dürfte: Sie gefährdet das elementare Staunen; sie begünstigt das Mißverständnis, daß Entdecken und Erfinden ein-und-dasselbe seien, und sie verführt leicht vom schlichten Versuch zum unnötig komfortablen und deshalb nicht mehr durchsichtigen Experiment. Man ist sich heute darüber einig, daß ein solides Verständnis der physikalischen Grundlagen dem Umgang mit der technischen Welt dienlicher ist als eine Menge technischer Einzelkenntnisse. Diese Grunderfahrungen müssen in wirklich selbsttätigem Umgang und im Experimentieren jedes einzelnen Schülers mit den Dingen gewonnen werden."  [Wagenschein] (im Jahre 1960)

"Auch die Arbeitsformen im Unterricht müssen der Technik entsprechen. [...] In der Didaktik der Physik sind dafür idealtypische Unterrichtsmethoden entwickelt, begründet und erprobt wie nacherfindender und nachmachender Unterricht." Der nacherfindende Unterricht "stellt die konstruktive Lösung technischer Aufgabenstellungen in den Mittelpunkt. Ausgang des Unterrichts ist eine technische Problemstellung - und nicht die fertige Lösung." Bei der nachmachenden Unterrichtsmethode sind "nach vorgegebenen Plänen oder Anweisungen funktionsfähige Modelle oder Anlagen nachzubauen und Dinge herzustellen. [...] Technik im Unterricht ist also gekennzeichnet durch idealtypische Unterrichtsformen, in deren Zentrum konstruktives Denken und herstellendes Handeln steht. Derartige idealtypische Unterrichtsformen treten neben die an der Erkenntnis orientierte Unterrichtsmethode der Physik des forschenden Unterrichts oder entdeckenden Lernens."  [Weltner]

Die Schüler sollen sich aktiv mit dem Gegenstand auseinandersetzen und Kenntnisse während eigener Arbeit und durch sie erwerben. Sie sollen zu geeigneten, realitätsbezogenen Problemstellungen eigene Lösungen suchen, erproben und verwirklichen. Sie sollen zu eigenen Fragestellungen geführt werden, die - wenn nicht im Unterricht - in Arbeitsgemeinschaften oder zu Hause weiterverfolgt werden können.

"Kinder sollen nicht nur das Entdecken, sondern auch das Erfinden selber tun und den Unterschied spüren dürfen. [...] Das gelingt nicht in dem so beliebten, flotten Hackwerk des Frage-Antwortspiels, sondern nur vor größeren Aufgaben, denen soviel Raum und Stille gelassen wird, daß den Schülern etwas Ernsthaftes überhaupt einfallen kann."  [Wagenschein]

"Unterrichtsergebnis ist nicht nur das Werkstück, sondern das Bewußtsein der Schüler, Ideen entwickeln und angemessene Lösungen finden zu können."  [Loccumer Protokolle]

Bleibt in der Schule dazu Zeit bei der Fülle des Lehrstoffs  Auch diese Frage ist nicht neu.

"Ich kenne nichts Schrecklicheres als die armen Menschen, die zuviel gelernt haben. Statt des gesunden kräftigen Urteils, welches sich vielleicht eingestellt hätte, wenn sie nichts gelernt hätten, schleichen ihre Gedanken ängstlich und hypnotisch einigen Worten, Sätzen und Formeln nach, immer auf denselben Wegen. Was sie besitzen, ist ein Spinnengewebe von Gedanken, zu schwach, um sich darauf zu stützen, aber kompliziert genug, um zu verwirren."  [Mach im Jahre 1880, zitiert bei Wagenschein]

"Je tiefer man sich eindringlich und inständig in die Klärung eines geeigneten Einzelproblems eines Faches versenkt, desto mehr gewinnt man von selbst das Ganze des Faches. Je tiefer man sich in ein Fach versenkt, desto notwendiger lösen sich die Wände des Faches von selber auf und man erreicht die kommunizierende, die humanisierende Tiefe, in welcher wir als ganze Menschen wurzeln, und so berührt, erschüttert, verwandelt und also gebildet werden. 'Gebildet'. Denn das Entlang-Gejagtwerden längs den Geleisen des Systems bildet nicht. Wir wollen Geleisleger erwecken, nicht Geleisfahrer machen."  [Wagenschein im Jahre 1952]

Die in der aktuellen Diskussion einer informationstechnologischen Bildung genannten Forderungen - Anwendungsbezug, Herausarbeitung der grundlegenden Prinzipien, Schüleraktivität - sind also (insbesondere im Physikunterricht) nicht neu. Das Fach Physik sollte seine Erfahrungen aus der Auseinandersetzung mit der Technik und mit ihren Arbeitsformen einbringen und sie - etwa durch Einbeziehung von Unterrichtsprojekten -weiterentwickeln. Sie sollte sich der modernen Technik, auch den Computern, nicht verschließen, sondern sich in der ihr eigenen Weise deren grundlegenden Fragen widmen.

Bei dieser Zielsetzung tritt die Mikroelektronik nicht mit immer perfekteren Meßsystemen in den Physikunterricht, sondern erscheint als weiteres Experimentierfeld, das die Schüler forschend und erfindend ergründen sollen.

Im folgenden wird speziell das Thema "Steuern und Regeln" betrachtet, das in den niedersächsischen Rahmenrichtlinien aller Schulstufen (im Fach Arbeit/Wirtschaft/Technik bzw. als wahlfreies Thema im Physikunterricht) genannt ist. Dabei werden auch die Digitalelektronik und im Ansatz die Halbleiterphysik und der Rechneraufbau angesprochen.

"Es gehört zu den zentralen Aufgaben der Elektronik, Schaltungen zu vorgegebenen Steuerungsaufgaben zu entwickeln. Steuerung ist damit ein Strukturierungsprinzip."  [Ludwig/Sperber] Sie kann unter dem Prozeßaspekt, dem Energieaspekt und dem informationstheoretischen Aspekt betrachtet werden: Alle Steuerungen benötigen Zeit. Bei jedem Steuervorgang muß dem Steuerglied Energie zugeführt werden. Die gesteuerte Größe wird nur dann beeinflußt, wenn dem Stellglied eine entsprechende Information zugeführt wird. Dabei wird die Information über einen Informationswandler (Schalter, veränderbarer Widerstand o.a.) in eine Form gebracht, die das System verarbeiten kann. [nach Ludwig/Sperber]

Wesentliche Teile eines entsprechenden Lehrgangs können sinnvoll in den Physikunterricht integriert werden. Weiterführende Inhalte sollten in Arbeitsgemeinschaften, die dann auf Vorerfahrungen aus dem Pflichtunterricht aufbauen können, angeboten werden.

Ausgehend von problemorientierten Aufgabenstellungen können in zeitlich begrenzten Unterrichtsprojekten technische Funktionsmodelle entwickelt und gebaut werden. Dabei muß der Modellbildung und der Erkenntnisgewinnung ein höherer Stellenwert eingeräumt werden als technischen Einzelheiten. Der experimentelle Aufwand sollte möglichst gering und die Durchschaubarkeit für den Schüler möglichst groß sein.

Da technische Problemstellungen meistens mehrere Lösungen besitzen, sollte keine spezielle Lösung vorgegeben werden. Unterschiedliche Ansätze verschiedener Schülergruppen ermöglichen individuelle Erfahrungen, die anschließend vorgestellt und diskutiert werden können. Nur so kann sich die Fähigkeit der Schüler zu partnerschaftlicher, phantasievoller Arbeit entwickeln und Sicherheit beim Umgang mit technischen Systemen entstehen. Damit die Schüler einen Spielraum für eigene Ideen gewinnen, müssen ihnen einige Grundkenntnisse in Form von Grundbausteinen zur Verfügung gestellt werden, z.B. die Relaisschaltungen, die Spannungsteilerschaltung und eine Transistorschaltung. Geeignete Aufgabenstellungen sollen den Schüler dazu bringen, diese und die von ihnen selbst entwickelten Bausteine zu immer komplexeren Problemlösungen zusammenzufügen. Dabei ist zugleich zu fragen:

"Läßt sich das Modell auf die funktionalen Eigenschaften reduzieren, die den thematischen Schwerpunkt des Unterrichts bilden? Erlaubt das Modell Veränderungen oder Erweiterungen seiner Funktion? Knüpft der Anwendungsbereich des Funktionsmodells an den Erfahrungen des Schülers an? Gibt das Funktionsmodell Beispiele für Automatisierungsvorgänge, die zur Zeit in größerem Ausmaß im Berufsleben ablaufen? Wird der Zusammenhang zwischen Technikeinsatz und menschlicher Arbeit deutlich? Lassen sich mit dem Modell Erfahrungen vermitteln, die den Schüler nicht nur zur passiven Akzeptanz der Technik, sondern auch zum aktiven Handeln herausfordern? Unterstützt das Modell die Rekonstruktion der technikgeschichtlichen Entwicklung (z.B. den Vergleich mechanischer, elektromechanischer und elektronischer Steuerung)."? [Hansen]

Von vornherein sollte mit handelsüblichen Bauteilen (IC, Widerstand, Transistor) gearbeitet werden, um einerseits den Realitätsbezug zu erhöhen, andererseits die Kosten gering zu halten. Einzelne Bauteile können als "black box" eingeführt werden, wenn ihre Funktion verstanden wird, z.B. der Transistor als Schalter oder das IC 74193 als 4-Bit-Binärzähler. Nach Möglichkeit sollten diese Bauteile im weiteren Unterricht oder in begleitenden Arbeitsgemeinschaften erklärt werden.

Der Einsatz eines Computers ist nicht erforderlich. Wie die nachfolgenden Beispiele zeigen, läßt sich etwa eine Meßwerterfassung und -auswertung mit relativ einfachen elektronischen Schaltungen realisieren. Die in der Datenverarbeitung grundlegenden Prinzipien treten dabei deutlich hervor. Andererseits kann der Einsatz eines Rechners mit entsprechender Schnittstelle die Problemlösung durch teilweise Verlagerung des Problems auf die Software erleichtern. Diese heute übliche Praxis sollten die Schüler etwa beim Messen und Auswerten oder beim Steuern und Regeln kennenlernen.